Glocken, Jugendzentren, Bahntrassen, Kinder – weichet, denn ich komme!

Aktuell klagt ein Rechtsanwalt in Linz, weil ihn der Stundenschlag der Domglocken stört. Der Streitwert vor Gericht wird mit 20.000 Euro angegeben. Was die eigentlichen Gerichtskosten noch ausmachen werden, kann man nur erahnen – billig wirds auf jedenfall nicht.

Immer wieder lesen wir in den Medien, wie sich einzelne Personen gegen, wie sie meinen, unverhältnismäßige Lärmbelästigung zur Wehr setzen. Da werden dann alle möglichen Gutachten beigebracht, die Dezibel “beweisen” das schwere Unrecht und das noch größere Leiden der Betroffenen. Man möchte fast glauben, die Kirche, so manche Jugendzentren, die ÖBB und letztlich sogar alle schreienden Kinder in den Höfen hätten sich gegen jene armen Mitbürger verschworen!

Wie kann es nur sein, dass wir in unserem eh schon hektischen Alltag derart grausam von diesen Lärmproduzenten gequält werden? Warum verbannt der Rechtsstaat nicht jene unbändig existierende Störung des privaten Friedens?

Ob es dem Leser schon aufgefallen ist? Nein – ich bin nicht dieser Meinung!

Der Linzer Anwalt schimpft nämlich über Glocken, die schon seit 112 Jahren nichts anderes tun, als jeden Tag und zu jeder Stunde in derselben Lautstärke zu schlagen. Er kann also gewiss nicht behaupten, er hätte beim Kauf der Wohnung nicht gewusst, dass hier Glocken zu hören sind. Auch ist es sehr fragwürdig, wenn er seine persönlichen Richtlinien der Nützlichkeit für jenes Glockenschlagen als verbindlich ansieht. Wie der Dompfarrer sehr richtig gesagt hat, hilft der Glockenschlag durchaus so manchem Menschen durch die Nacht. Wer an Schlaflosigkeit leidet, wer im Dunkeln Angst hat, wer einsam ist oder wer ganz einfach eine noch so abstrakte Form von Nähe braucht, der empfindet jenen Glockenschlag als wohltuend. Ich selbst bin schon ein paar Mal mitten in der Nacht durch Linz marschiert und ich kann bestätigen, dass der Glockenschlag der Uhr auf eine seltsame Weise Sicherheit geschenkt hat und in mir ein Gefühl der Ordnung aufkommen ließ.

Der Anwalt bemühte schließlich seine religiöse Gesinnung und stellte klar, dass es für Glocken keinerlei religiöse Grundlage gäbe. Er habe als guter Christ natürlich zuerst schon zweimal mit dem Dompfarrer das Gespräch gesucht und hoffe doch sehr, dass die Sache in christlicher Weise ohne Gericht zu lösen wäre. Dumm für ihn, dass der Pfarrgemeinderat so gar nicht seiner Meinung ist. Ganz abgesehen davon müsste man sich natürlich fragen, wie sehr der Anwalt in Wahrheit am religiösen Leben teil nimmt – nur weils im Reisepass steht, ist man noch lange kein aktiver Christ. Andererseits überrascht diese Argumentation auch wieder nicht sonderlich: es werden doch ständig die Barmherzigkeit der Amtskirche und ein religiöser Imperativ bemüht, wenn einzelne Personen die Kirche nach den eigenen Wünschen ausrichten möchten.

Bei all diesen Versuchen bleibt es aber beim grundsätzlichen Faktum: der Mann hat sich vor einigen Jahren wissend um den Glockschlag in der teuersten Lage von Linz ein Wohnung gekauft und regt sich jetzt plötzlich über eine Geräuschkulisse auf, die seit Jahrzehnten ein Gewohnheitsrecht hat – haben sollte.

Ich habe diesen groben Unsinn schon an vielen Orten erlebt und leider allzu oft erkennen müssen, dass die Österreichischen Richter jenem Unsinn nur zu gern Folge leisten. Nicht nur einmal wurde z.B. ein renommiertes und erfolgreiches Jugendzentrum oder ein Kindergarten geschlossen, weil gleich daneben eine Wohnsiedlung neu errichtet wurde und die Anrainer sich durch die alteingesessenen Nachbarn gestört fühlten. Auch so mancher Landwirt kann davon ein Lied singen – wie nicht zuletzt bei den Kuhglocken deutlich wurde. Denn die Kuhglocken auf der Weide waren sicher länger vorhanden, als die Neubauten, deren Bewohner die Kuhglocken bannen ließen.

Am deftigsten trieben es hier wohl die Anwohner der Bahntrassen. Ich muss gestehen, wenn ich mir diese Berichterstattungen ansehe, dann kocht in mir so manches Mal der Zorn hoch. Da gibt es also Bürger, die sich um billigste Preise die Grundstücke neben den Bahntrassen kaufen – denn teuer kann man solche Grundstücke eben wegen der Bahn ja gar nicht verkaufen. Und kaum stehen dort die ersten Wohnhäuser, wird die Bahn auf Lärmschutzwände, Flüstergleise und Tempobeschränkungen geklagt, damit die neuen Anwohner ja nicht gestört werden. Ja wo sind wir denn? Zuerst wollen diese Leute möglichst billig an Grundstücke kommen, und kaum haben sie dort ein Haus gebaut, wollen sie, dass der Grund für das billige Grundstück verbannt wird. Und die Richter machen all das brav mit. So gesehen müsste man der Bahn empfehlen, bloß nie wieder Trassengrundstücke zu verkaufen – denn die Folgekosten lassen jeden Gewinn dahin schmelzen.

Besonders schlimm und für die Gesellschaft blamabel wird es, wenn Bürger erfolgreich die Kinder von den Strassen und Plätzen weg klagen können. Es ist ein Grundrecht von Kindern, sich frei zu entwickeln, Grenzen auszuloten und einfach zu spielen. Dass eben jene Kinder dabei nur selten leise sind, liegt in der Natur der Sache. Aber ebenso liegt es in der Natur der Sache, dass eben jene Kinder nur tagsüber spielen und in der Nacht im Bett liegen. Wen also können jene Kinder durch ihr lautes Spielen stören? Oder finden es jene Erwachsenen einfach nur nervtötend ein Kind bloß zu hören? Man muss wirklich an unserer Gesellschaft zu zweifeln beginnen, wenn es Kindergärten gibt, die nachträglich mit einer meterhohen Lärmschutzmauer versehen werden mussten, damit die Nachbarn zu klagen aufhören.

Wir leben scheinbar in einer Zeit, wo der einzelne seine Umgebung nur allzu gerne nach Maß gestaltet und seine Mitbürger nötigenfalls mithilfe der Gerichte in seine Bahnen zwingt. Weshalb sollte ich mich dem Wohl der Gemeinschaft unterordnen, wenn sich die Gemeinschaft doch genauso leicht meinem eigenen Wohl unterordnen lässt?

Ich bin mir daher leider ziemlich sicher, dass die Österreichischen Gerichte am Ende dem Rechtsanwalt beipflichten werden und die Stundenglocken verstummen. Denn es kann ja nicht sein, dass eine zur Tradition gewordene Lärmbelastung jenen Herren im Schlaf stört.

Es ist ein Glück für den Rechtsanwalt, dass wir im 21. Jahrhundert leben – denn vor dreißig Jahren noch wäre er selbst verklagt worden, weil seine Kanzleitippsen an den Schreibmaschinen seine Nachbarn gestört hätten…

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